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Mein Name ist Max. Eigentlich heiße ich Maximilian, aber alle nennen mich Max. Warum das so ist? Keine Ahnung. Vielleicht, weil das Leben uns dazu zwingt, alles auf die effizienteste Form zu reduzieren: kurze Namen, kurze Gespräche, kurze Geduldsspannen. Wir sparen Energie, wo es nur geht, sogar beim Vornamen. Möglicherweise ist das unsere Antwort auf eine Welt, die immer schneller wird. Trotzdem will ich hier nicht über meinen Namen philosophieren, denn darum geht es nicht. Es geht um etwas anderes: um die große Frage, wie viel Frust ein einziger Tag bereithalten kann, bevor man innerlich einfach nur noch winkend kapituliert. Und glaubt mir, es ist mehr, als man denkt. Viel mehr. Vielleicht ist das Leben einfach ein Stresstest, bei dem niemand besteht, wir tun nur immer alle so.

 

Der Tag beginnt wie jeder andere: Der Wecker, dieser akustische Sadist, pöbelt mich um Punkt fünf Uhr aus dem Bett. Kein sanftes Piepsen, keine freundliche Erinnerung – eher ein schrilles „Aufstehen, du Versager!”. Ein Vorgeschmack auf das, was mich heute erwartet. Nach einem lieblosen Kaffee sitze ich zwanzig Minuten später bereits im Auto, unterwegs zur Arbeit.

 

70 km/h sind erlaubt, ich fahre 80, um nicht zu den morgendlichen Bremsern zu gehören, so zumindest mein Gedanke. Der junge Fahrer des Leasing-Boliden hinter mir sieht das offenbar anders. Natürlich weiß ich, dass Vorurteile völlig unfair sind, und trotzdem: jung, dickes Auto, muss Leasing sein. Mein Kopfkino startet da ganz automatisch. Vielleicht sollte ich an meiner Einstellung arbeiten. Vielleicht. Aber nicht heute. Wie auch immer man ihn beschreiben mag, er klebt so dicht an meiner Stoßstange, dass er mir die Seriennummer meiner Rückleuchten vorlesen könnte. Nach einem Hup-Licht-Combo-Move rauscht er vorbei, und kaum ist er weg, klebt schon der Nächste an meiner Stoßstange. Es folgen: Schneiden, Ausbremsen, freundliche Grüße mit dem internationalen Mittelfinger – die Klassiker. Ich bleibe gelassen. Ist es innere Ruhe? Keine Ahnung. Ich nenne es meine tägliche Trainingseinheit in Gelassenheit: tief durchatmen, einfach weiterfahren. Das Lustigste daran? An der nächsten Ampel sehen wir uns alle wieder.

 

Mit stoischer Ruhe habe ich die letzten Drängler ertragen, als ich endlich auf dem Parkplatz ankomme. Begrüßt werde ich vom gerade einsetzenden Nieselregen und der Pfütze direkt vor meiner Autotür. Kaltes Wasser bis zum Knöchel. Natur, du hinterhältiges Biest.

 

Nur wenige Minuten später begleitet mich das kalte Licht der Neonröhren ins Büro. Prompt treffe ich meine Kollegin Frau Irene von Hammerscheidt, die Mutter aller Tratschgeneratoren. Ohne „Guten Morgen“ oder „Schön dich zu sehen“ präsentiert sie mir sofort ihre Intrigen-Agenda für den Tag: „Hast du schon gehört, dass sich Petra heimlich mit Paul aus der IT-Abteilung trifft und dass Maike …!“ Mit einem höflichen Nicken und Lächeln schalte ich auf Stand-by. Bloß keine Einladung ins Drama-Dreieck annehmen.

 

Mein erster Kundenkontakt lässt auch nicht lange auf sich warten: Herr „Besserwisser“ Schmidt hat es wie immer eilig. Die Excel-Tabelle muss sofort überarbeitet werden, immerhin hat er wenigstens „Moin“ gesagt. Doch direkt im Anschluss folgt süffisant: „Na, haben deine Schalker wieder voll einen auf den Sack bekommen!“ Leider ja. Vor allem, wenn seine Dortmunder im Derby meine Schalker aus dem Stadion geprügelt haben. Ich lächle tapfer. Fußballthemen frühmorgens sind ohnehin schwer zu ertragen, und wenn dann noch ein Dortmunder anfängt zu triumphieren… Atmen, Max. Einfach atmen.

 

Gegen Mittag begebe ich mich zur Kantine, zur großen Schlacht am Buffet. Hoffnungsvoll, hungrig, naiv. In der Warteschlange werde ich von einer Gruppe kognitiv insolventer Kollegen aufgehalten, die minutenlang diskutieren, ob sie Currywurst mit Pommes oder Reis bevorzugen. Ich verstehe es nicht! Die Kollegen sowieso nicht, die Frage schon gar nicht. Wir sind in Gelsenkirchen, mehr Ruhrpott geht nicht. Da stellt sich nicht die Frage, wie Currywurst gegessen wird. Dass es überhaupt möglich ist, Reis zur Currywurst zu servieren, lässt tief in die Seele der Kantinenküche blicken. Endlich bin ich an der Reihe und stelle fest: Die letzte Currywurst ist weg. Hinter mir entschließen sich die Kollegen, der Reis-Fraktion beizutreten. Ich nehme resigniert einen Joghurt und ein weiteres kleines Stück meines Glaubens an die Menschheit zerbröckelt.

 

Zwei Stunden später sitze ich im Teammeeting, einem Pflichttermin für Freiwillige. Auf dem Tisch türmen sich bunte Post-its, in der Luft liegt der Duft von Verzweiflung. Kollege Bastian startet mit einem „Lass uns mal out of the box denken“, ein Satz, der mich kurz darüber nachdenken lässt, ihn in selbige zu verfrachten. Bastian, der mit Hochglanzlächeln und umgekrempelten Ärmeln durchs Leben brainstormt, beginnt jeden zweiten Satz mit „Ich denke da ganz agil“. Seine Stimme hat die Tonlage eines ambitionierten Radiomoderators, seine Ideen hingegen die Halbwertszeit einer Eintagsfliege. Er klatscht beim Reden in die Hände, um „Energie reinzubringen“. Ich bringe da lieber Abstand rein. Das Meeting verläuft wie immer: viel Gerede, wenig Inhalt. Am Ende ist alles „ein Prozess, der Zeit benötigt“. Ich schreibe drei Stichworte in meinem Notizbuch: Widerstand. Kaffee. Fluchtplan.

 

Am Nachmittag habe ich eine Telefonkonferenz mit dem Außendienst. Seit zwanzig Minuten versuche ich herauszufinden, ob der Kollege aus Bayern wirklich so einen miesen Dialekt hat, oder ob einfach nur mein Empfang schlecht ist. Er plärrt etwas über Deadlines, Synergien und dass „wir da jetzt echt mal Druck machen müssen“. Ich nicke. Niemand sieht’s, aber es fühlt sich höflich an. Am Ende der Konferenz wissen wir alle: nichts. Aber immerhin sind wir jetzt kollektiv verwirrt. Das verbindet.

 

Kurz danach: Kaffeepause. Die Kaffeemaschine, arbeitet seit Jahren langsam und mürrisch nach Vorschrift. Ich gieße mir das Ergebnis ein – lauwarm, bitter, hoffnungslos. Im Radio läuft „We Are the Champions“. Echt jetzt? Ich trinke eine graue Brühe, bin von komischen Menschen umgeben, mein Job nervt, und ich fühle mich schlecht. Wenn das Gewinnen ist, will ich nicht wissen, wie Verlieren schmeckt. Gerade als ich den letzten Schluck nehme, kommt Bastian um die Ecke geschossen. „Ey, ich hatte da noch so eine crazy Idee fürs Stand-Up-Format!“, ruft er und schiebt sich einen veganen Dinkelkeks in den Mund. Ich nicke nicht. Reagiere nicht. Ich gehe einfach nur raus. Von hinten schmettert mir Freddy Mercury noch einmal „We are the champions“ hinterher. Ich könnte kotzen!

 

17:00 Uhr, Feierabend. Ich packe zusammen. Auf dem Weg zum Auto treffe ich Frau von Hammerscheidt, die mir „nur ganz kurz“ erzählen will, was Paul aus der IT heute angeblich…! Ich nicke. Ich gehe weiter. Ich flüchte.

 

Auf der Heimfahrt wartet die nächste Prüfung: So sehr ich mich morgens bemühe, halbwegs gesetzestreu unterwegs zu sein, so großzügig dehne ich den Toleranzbereich nach 17 Uhr aus. Nur ärgerlich, wenn ein grauer Kleinwagen im Schneckentempo vor mir herschleicht, deutlich unterhalb der erlaubten Geschwindigkeit. Als ich überhole, sehe ich ihn: Der Fahrer isst seelenruhig ein Brötchen. Und als wäre das noch nicht genug – als letzter Dolchstoß – erklingt aus dem Autoradio erneut „We are the champions.“ Gott liebt mich nicht mehr.

 

Endlich Zuhause. Ich setze mich aufs Sofa, atme tief durch, schließe die Augen – Frieden. Und dann klingelt es. Ich öffne und lächle: Die Zeugen Jehovas. „Tut mir leid“, sage ich. „Ich habe nichts gesehen.“ Schließ die Tür. Ich lache. Über mich selbst. Über den Tag. Über alles. Ich lasse mich nicht runterziehen. Menschen sind manchmal wie das Wetter: mal sonnig, mal stürmisch, oft unberechenbar. Und mit einem Regenschirm in der Hand bleibt man trocken. Oder man tanzt halt im Regen.

 

Ivano Fargnoli ( Februar 2025 )